Alles Retro? Das stimmt ja nur fast, denn meine W650 ist zwar ein Retro-Bike, aber eine Honda XBR ist natürlich nicht Retro – die ist wirklich alt. So alt, wie meine W eben aussieht. Dennoch sind die beiden ein hübsches Paar und spielen auch leistungsmäßig in der gleichen Liga: 44 PS aus 500 ccm bei ca. 180 kg gegen 50 PS aus 650 ccm bei ca. 210 kg – das passt.
Lange Rede kurzer Sinn: Heut bin ich mit Brüderchen Jürgen zu einer gemeinsamen Tour verabredet. Treffpunkt ist der Hunnturm in Burgholz um 7:00 – morgens, nicht um 19:00. Eingedenk des heute erwarteten heissesten Tag des Jahres dürfte das eine gute Idee sein.
Das wird die heutige Route werden: Es soll rüber nach Thüringen gehen, genauer, nach Spahl in die Heile Schern.
Wenn ich pünktlich in Burgholz sein will, sollte ich jetzt fahren. Also los. Natürlich bin ich angezogen für einen Tag mit bis zu 36°C, aber davon ist jetzt noch nichts zu spüren. Ehrlich gesagt ist es sogar anfangs richtig fröstelig.
Die Bodennebel fangen gerade an, sich aufzulösen.
Amöneburg, der Pickel, zeigt sich schon nebelfrei und in das weiche Licht der aufgehenden Sonne getaucht.
Und schon laufe ich am Hunnturm ein.
Am Treffpunkt, dem Hunnturm in Burgholz bei Rauschenberg, bin ich früher als erwartet – aber Jürgen mit seiner Honda XBR 500 ist schon da. Ein schönes Motorrad!
In Neukirchen am Rande des Knüllgebirges wollen wir einen Kaffee zu uns nehmen. In diesem Strassen-Cafe werden zwar gerade die Tische gereinigt, aber geöffnet ist es noch nicht. Macht nichts, …..
….. da gehen wir einfach in das Cafe gegenüber, wo es bereits ein richtiges Frühstück gibt.
Ein kurzer Blick auf die Route: Wie war das noch – Oberaula oder Niederaula? Aha, bin wieder auf Kurs.
Durch den dunklen Wald bei Langenschwarz tauschen wir mal unsere Motorräder. Die Honda geht sehr schön, ein traumhafter Motor. Aber diese Vorderradbremse, also ne, da muss der Jürgen nochmal bei. Die uralten Gummileitungen dehnen sich wahrscheinlich wie ein Luftballlon. Aber sonst: Ein einwandfreies Moped.
Ein paar Minuten unserer Retro-Fahrt durch den Kiebitzgrund habe ich gefilmt.
Nahe Hofaschenbach passieren wir die ehemalige innerdeutsche Grenze und sind damit unserem Ziel Spahl ganz nahe.
Angekommen in der Heilen Schern, einem großen und äusserst gemütlichen Ausflugslokal. Auch hier ist eigentlich noch geschlossen – eigentlich, denn wir bekommen trotzdem unseren gewünschten Getränke. Das ist thüringische Gastfreundschaft.
Auf ein Mittagessen allerdings hätten wir noch ein Stündchen warten müssen. Auch wenn die Lachsaforellen locken – so lange möchten wir nicht warten. Mittlerweile ist es nämlich schon richtig heiss geworden. Der Entschluss lautet daher: Wir machen zurück in den Westen, fahren zum Antrifttal-Stausee und essen auf den Seeterassen.
Also auf Wiedersehen Spahl, aber wir werden wieder kommen.
Über das schöne Nüsttal, das Schlitzerland, das Gründchen und den Altkreis Alsfeld halten wir nun auf das Antrifttal zu. Mittlerweile ist es nur noch beim Fahren zu ertragen, die Hitze ist abartig.
Endlich angekommen an den Seeterassen. Jetzt raus aus den Klamotten, ein Plätzchen im Schatten eines Sonnenschirms gesucht und dann aus der reichhaltigen Speisekarte gewählt. An diesem Ort halten wir es etliche Stunden bei Essen und Trinken aus.
Gegen 15:00 beschließen wir den Aufbruch und nach der schönen Kurvenstrecke durchs Antrifttal verabschieden wir uns in Kirtorf. Jürgen fährt weiter über Kirchhain an den Edersee und ich fahre zum Tanke an die einzige Kirtorfer Tankstelle.
Dort habe ich eine Erscheinung der dritten Art: Während ich die Zapfsäule bediene, schaue ich mir eine rote Vespa Primavera an, die an der Nachbarsäule steht. Dann erscheint die Fahrerin: Eine überirdisch schöne Frau in einem luftigen weißen Sommerkleid, das leicht im Wind weht. Mit anmutigem Schwung wird die Primavera bestiegen und dann brummen Lady und Roller wie Elfen davon. Und ein alternder Motorradfahrer glotzt stumm vor Staunen hinterher. Wenn ich diesen kleinen Auftritt hätte aufnehmen können, wäre das DER Werbefilm für Piaggio geworden. Der Titel hätte dann „Do you Vespa?“ heißen können.
… oder „Wie ich lerne, den Airoh zu lieben“ – das ist das Thema meiner kleinen Ausfahrt am heutigen Abend. Tagsüber zieht mich bei der Hitze nichts auf Motorrad, aber am frühen Abend wird’s erträglich, wenn auch nicht wirklich kühl. Der Plan dabei ist, bei jedem Stopp den Airoh J106 abzunehmen und dann beim Start den Kinnschutz wieder an den Helm zu frickeln. Das soll nämlich irgendwann elegant mit einer fliessenden Bewegung geschehen und nicht mit dem elenden Gefummel, das ich im Moment noch jedesmal habe.
Das habe ich schon seit längerer Zeit vor: Diesen kleinen Teich abseits der Strasse in der Nähe von Stumpertenrod anzufahren und die Ruhe zu geniessen. Heute mach ichs und der Wiesenweg dorthin ist mit der Suzi kein Problem. Mit der T-Bird wäre ich da aber auf keinen Fall herunter gefahren.
Auf der einen Seite der Teich, auf der anderen das lange Tal, durch das vor 12.000 Jahren wahrscheinlich ein Gletscher seinen Weg nahm.
Schön wie in einem Traum: Keine Verkehrsgeräusche, nur Quaken, Zirpen und Gezwitscher. Aber dennoch: Ich muss weiter. Und hier klappt das Einsetzen des Kinnschutzes schon ganz gut – wahrscheinlich wegen der tiefen, inneren Ruhe.
Mein nächstes Ziel ist der Totenköppel bei Meiches. Um den zu erreichen, muss ich tatsächlich zwei Strassensperrungen missachten und durch die Baustellen fahren. Aber was tut man nicht alles für ein halbes Stündchen Ruhe hier oben. Aber auch die bekomme ich nicht, denn eine ganze Gruppe Rentner hat sich hier versammelt und geniesst wie ich die Aussicht.
Und die ist heute wirklich besonders schön.
In der kleinen Kirche erhoffe ich mir mehr Ruhe und tatsächlich …….
….. bin ich hier allein, völlig allein.
Die Schlichtheit dieser Kirche beeindruckt – mehr als der Pomp in „typischen“ Kirchen.
Auf der Empore lasse ich die besondere Atmosphäre auf mich wirken.
Noch ein letzter Blick auf die Beschriftung der Hinweistafel. Da sind immer noch einige wenige Orte, die ich noch nicht angefahren habe: Den Bechtelsberg, die Büraburg, den Fehdenberg und das Hessische Kegelspiel. Also dran bleiben.
Auch hier klappt das Einstecken des Kinnschutzes ganz gut – trotz der zuschauenden Rentner. Ah so, bin ja auch einer und hätte bestimmt gut zu der Truppe gepasst. Aber nicht heute.
Auf einen kurzen Besuch geht’s noch nach Ilsdorf und dann nehme ich die letzten Kilometer off road unter die Räder. Mittlerweile ist es fast 21:00 und die untergehende Sonne lässt die Landschaft total weich erscheinen – sehr schön.
…. braucht man ab und zu, wenn das alte Leder verschlissen ist. So geht es gerade Reinhard, dessen ca. 10 Jahre alten Lederstiefel klare Anzeichen von Zerfall zeigen. Die Lösung: Eine Fahrt nach Fulda zur Tante Louise mit dem Ziel, ein paar niegel-nagel-neue Stiefel mitzubringen.
Reinhard als Mann hat die Fähigkeit, neue Schuhe, also auch Stiefel, innerhalb weniger Minuten kaufen zu können. Anziehen, zwei Testschritte – passt und gekauft. Die alten Stiefel kommen gleich in den Abfallbehälter bei Louis und die neuen, höchst eleganten Daytonas bleiben am Mann. Ein Traum, diese Stiefel, nicht wahr? Zwar stellt sich wenig später heraus, dass die Teile noch nichts von der Geschmeidigkeit und Weicheit der alten Treter haben, aber das ist sicher in 1-2 Jahren vorbei. Viel Freude mit den neuen Stiefeln.
Als Belohnung gönnen wir uns eine schöne fette Bratwurst an Doros Büdchen auf dem Hoherodskopf.
Mehr noch als die Bratwurst beeindruckt uns der riesige 2,3 L Dreizylinder von Triumph – gigantisch, da fehlt nicht viel an einer Boss Hoss.
…… oder genauer, noch ein Stückchen weiter nach Heinersreuth. Dort gilt es etwas abzuholen und eingedenk des Wetters der letzten Tage nehme ich dazu …… den kleinen MG. Und weil Heinersreuth etwa 300 km entfernt ist, breche ich verdammt früh auf. Schaff ich diesmal sogar. Vorgestellt hab ich mir ein schönes Cruisen auf der Autobahn bei offenem Verdeck – aber daraus wird nix.
Die Rhön erwacht
Im wilden Tal der Kinzig
Auf die A7 und A70
Unwetter in Unterfranken
Unglaubliche Regenmassen
Packts der Scheibenwischer?
In Frankens Saale Stück
Die Wolken verfolgen mich
Ein Kilometer langer Tunnel
Mal Sonne, mal rabenschwarz
Alte Bekannte: Der Harley-Mann
….. und der Porsche
Jetzt in Oberfranken
Bei Bayreuth von der Autobahn
Weiter auf die B85
Offen Fahren? Auf keinen Fall
Ersatzteil abgeholt und zurück
Und wieder Unwetter
Der Zug ist schneller
Regenpause
Letzte Rast nahe der Rhön
Hier mein Einkauf:
Ein Suzuki TS250 Motor
Typ TS2504
Und sieh an: Ein Schalthebel meiner DR400 passt an den TS250 Motor. Wahrscheinlich gibt es noch viel mehr Gleichteile zwischen Vier- und Zweitakter.
Wieder zu Hause wird es gegen 16:00 wieder schön und mir fällt ein, dass ja heute von 10: bis 18:00 Probefahrt-Tag bei Mike Enders in Atzenhain ist. Und da möchte ich endlich mal einen Chopper probefahren, und zwar die Honda Shadow. Also zwäng ich mich in halbwegs chopper-geeignete Klamotten und bewege mich auf der W650 nach Atzenhain.
Aber dort ist dummerweise schon alles im Abbau begriffen – heute keine Probefahrten mehr. Mist, wirds wieder nix mit einem Chopper. Ich seh’s kommen: In diesem Leben schaffe ich es nicht mehr, einen Chopper zu fahren.
Immerhin treffe ich in Atzenhain den BMW-Fahrer Armin und wir beide plaudern lange über dies und das und speziell über das Motorrad fahren in den Cevennen. Und anschliessend bewege ich meine W noch mal 50 km – auf dass der Motor auch warm werde.
….. zu finden, ist nicht immer einfach. Mir ist es heute erst im zweiten Anlauf gelungen. Aber der Reihe nach.
Gegen Mittag hält mich nichts mehr daheim! Auch wenn ich keinen Mitfahrer gefunden habe: Jetzt geht es auf den Asphalt. Das Wetter ist traumhaft: Wolkenloser, blauer Himmel. Und die Wetterseiten im Netz erzählen von 10% Regenwahrscheinlichkeit und 0mm Niederschlagsmenge. Das ist genau das Wetter, um meine neuen Conti Attack an der W650 mal richtig auszuführen – und zwar im Taunus.
Und so mache ich mich über Nidda, Reichelsheim und Friedberg auf in Richtung Taunus.
Bis kurz vor Friedberg bleibt das Wetter so perfekt wie bei der Abfahrt. Aber dann sind sie wieder da, die dicken schwarzen Wolken. Besonders schlimm um Frankfurt …….
….. und nicht ganz so schlimm in Richtung Taunus – und da will ich ja auch hin. Also weiter.
Aber kaum habe ich nur den Rand des Taunus erreicht, geht die Schweinerei los: Regen! Zwar ohne Sturm und Gewitter, aber zum Nasswerden reichts. Zwanzig Minuten lang fahre ich unbeeindruckt weiter, aber dann kann ich den blauen Himmel in der anderen Richtung nicht länger ignorieren.
Ja, ich gebe es zu: Ich drehe ab und fahre zurück über Büdingen und Gedern in Richtung Vogelsberg. Sehr schnell hört dann der Regen auf und die Sonne strahlt wieder vom blauen Himmel. Genau so soll es sein.
Egal, wohin ich jetzt fahre: Vogelsberg, Wetterau, Marburger Land, Rabenau – überall begleitet mich ab jetzt das Traumwetter – und das bleibt auch so.
Und obwohl ich anfangs keine Lust auf Vogelsberg-Touren hatte, fahre ich sie jetzt doch. Nach 300 km erst kann ich aufhören und mich zum Heimweg zwingen. Also in Zukunft besser auf die Richtung achten.
Mit den Conti Attack läuft die W jetzt wirklich prima. Kein Versetzen mehr, kein Sägezahngewackel – der Twin zieht einfach spurtreu seine Bahn und klebt einwandfrei auf dem Asphalt – auch bei Regen kommt keine Unsicherheit auf. Ich beginne, den Conti zu lieben.