Unsere geplatzte Nostalgiefahrt

Seit meiner Wiederentdeckung der Langsamkeit machen mir die Fahrten mit den ältesten Motorrädern den meisten Spaß. Mit Freund Jürgen war schon länger eine gemeinsame Tour mit unsere alten Ostböcken geplant. Würde gut passen: Jürgens ES150 und mein ES 250/1 Gespann. Und an diesem Sonntag sollte sie stattfinden: Unsere Nostalgiefahrt.

OK,  also eine schöne Sonntagmorgenfahrt mit zwei nostalgischen Ostböcken. Aber dann die Nachricht von Jürgen: Die ES150 springt nicht an! Beim Versuch, die kleine Schwingenmaschine aus dem Winterschlaf zu erwecken, zeigte sich eine tiefentladene Batterie. Empfehle Jürgen, eine Powerladung die ganze Nacht hindurch laufen zu lassen. Aber die Fahrt am Morgen ist erst einmal geplatzt, zumindest als gemeinsame Aktion. Mich aber hält es am Sonntagmorgen nicht zu Hause und um 8:30 tuckert mein Gespann bereits in Richtung Westen.

Durch den Ebsdorfergrund fahre ich auf Marburg zu. Meine Scheune lasse ich heute links liegen, es wird nicht geschraubt, sondern gefahren. Zwischen Mölln und Heskem entdecke ich diese Riesentanks voll mit Biogas. Es wird nicht das letzte Neue für diesen Tag sein. Jetzt muss ich auf Reserve umschalten und laufe die Tankstelle in Heskem an: Geschlossen, bzw. öffnet sie erst um 10:00.

Eine weitere Tanke im Ebsdorfergrund ist mir nicht bekannt, also durchquere ich das Amöneburger Becken komplett und fahre nach Kirchhain. Da bin ich sicher, eine offene Tankstelle zu finden. 20 km zum Tanken! Dann weiter nach Niederwald an den alten Baggersee, wo wir frühher oft FKK gemacht haben. Da haben die aus dem Baggersee ein "Naturerlebnis" gemacht, mit Eintritt, Parkplätzen, Würstchenbude und dem typischen maritimen Scheissdreck.

Drüben das "Naturerlebnis", und hier wird doch tatsächlich wieder Kies abgebaut. Und ich glaubte, dass mit dem Abbau schon seit Jahren Schluss ist.

Förderbänder bringen den Kies aus dem Abbau nahe an die Strasse. Und ein Stück weiter sind bereits weitere Abbaugebiete entstanden. Wer braucht in Zeiten der Krise all diesen Kies, Schotter und Split?

Ganz ordentliche Maschinen, die hier werkeln. Hab ja durchaus ein Faible für Schwerindustrie und Maschinenbau. Kommt wohl aus meiner Vergangenheit im Ruhrbergbau.

Hier eines der neu entstandenen Abbaulöcher. Wird sicher in ein paar Jahren auch ein kleiner See oder gar ein "Naturerlebnis" draus werden.

Fahren wir mal nach Niederwald hinein. Am Ortseingang ein Hinweisschild auf einen Motorradladen - nie von gehört. Also mal hin und da ist diese alte Scheune komplett in ein Motorradparadies umgebaut worden: Italienische Schönheiten von Ducati, Moto Guzzi und Laverda sehe ich in den Schaufenstern.

Und nicht etwa Pseudo-Laverdas neuerer Fertigung, nein, richtig schöne alte Italo-Twins aus den 70er und 80er Jahren. Und das Highligt: EIne 350er Ducat Desmo Einzylinder im Rennlook. Leider durch das Glas nicht vernünftig aufs Bild zu bekommen. Aber schöööön!

Raus aus Niederwald in Richtung Marburg auf dieser alten Chaussee, auf der sämtliche Weiden quasi geköpft sind. Hier mal nachts durchfahren, und Du glaubst, Du bist im "Schimmelreiter". Gruselig!

Hab Marburg umfahren und bin am Fusse der Burgruine Frauenberg. Hier unten war ich schon mehrfach, aber die Ruine hab ich noch nie gesehen. Das soll sich heute ändern.

Also den steilen Pfad hoch, dahin, wo ich die Ruine vermute. Ist jetzt am Vormittag schon ordentlich warm und mir wird in den Motorradklamotten noch wärmer. Aber ich halte durch und stiefele bis nach ganz oben. Stramme Leistung für einen alten Herrn!

Da ist sie, die Burgruine Frauenberg. War wohl nur eine kleine Burg für eine Handvoll Ritter und selbst davon ist nicht viel übrig geblieben. Aber die Lage !!!

Hier die Geschichte der Burg in Kurzform. Da waren also die Brabanter mal die Grössten in dieser Gegend. Ein Stück weiter im Wald muss auch irgendwo die Elisabethenquelle sein, jetzt weiss ich, woher die ihren Namen hat.

Zurück zur Lage der Burg: Von hier liegt dir das gesamte Marburger Land zu Füssen und die Aussicht ist gewaltig. Sie reicht bis weit ins Giessener Land hinein und bei klarer Sicht bestimmt noch weiter. Von hier oben hast Du die Kontrolle!

Genug Kultur für den Augenblick und zurück zum Gespann. Logischerweise ist der Abstieg wesentlich angenehmer.

Über Cappel gehts nun nach Bortshausen und dort gerate ich auf die alte Kreisstrasse, die seit ein paar Jahren gesperrt ist: Alles muss über die Schnellstrasse, die B3, laufen. Aber trotz Sperrung fahre ich kilometerlang die Strasse ab, immer an der Lahn entlang.

Schade um die alte Kreisstrasse! Auf der einen Seite die Lahn, auf der anderen der bewaldete Berg, komplett schattig durch dichten Baumbewuchs. Dagegen die Schnellstrasse - zum Kotzen. Aber OK, der Berufsverkehr braucht natürlich solche Bundesstrassen. Aber muss man deswegen gleich die alte Strasse sperren?

Nun Richtung Grünberg, muss noch ein Cafe anfahren. Grünberg von der Rolle - diese Fahrrad und Skateboardaktion zwingt mich zu einem schönen Umweg über Weitershain. Hier will ich ein wenig rasten, aber kaum ist der Helm herunter, dringt furchtbare Dicke-Backen-Musik an mein Ohr.

Hinter den Büschen aus dem Tal, da kommt das Geplärre her. Diese Art von Musik ist dazu angetan, mich schnellstens wieder zu vertreiben. Da war doch gestern der Rammstein-Sound in Blankenbach was ganz anderes!

Über den Ziegelberg will ich nach Grünberg hinein. Da kann ich mir ja auch mal den Neubau des Wohnhauses meines Brötchengebers auf dem höchsten Punkt des Ziegelberges ansehen. Ein Riesengebäude der besonderen Art, vermutlich einzigartig in Grünberg, aber weit entfernt davon, fertig und beziehbar zu sein.

In der Grünberger Innenstadt im Cafe Lukasch bekomme ich den gesuchten Kuchen: Quarkkuchen und Mohnkuchen.

Und zum Schluss noch in Flensungen an den Flensunger Hof, wo ich auch noch nie gewesen bin. Irgend eine christliche Institution betreibt hier unter anderem dieses Seminarhotel zu konkurenzlos niedrigen Preisen. Aus der Nachbarschaft spricht mich ein Mann an und erzählt von seinem Ural-Gespann, das gerade bis auf die letzte Schraube zerlegt ist: Der Rost nagt. Dann gehts heim, habe 150 km gefahren und eine Tankfüllung in die Umwelt gejagt. Und das Schlimmste: Ich bereue keinen Tropfen davon.