Dieser letzte Oktobertag des Jahres 2011 bietet ein unglaubliches Wetter! Bereits am Vormittag wird es warm und wärmer, die Sonne scheint vom fast wolkenlosen Himmel und die Temperaturen steigen auf gefühlte 20°. Wer ein fahrbereites Motorrad sein eigen nennt und ein wenig Zeit hat, der muss jetzt einfach fahren – und genau das tue ich, zur Entspannung und als Therapie.
Die SV650 hab ich jetzt auch schon fast einen ganzen Monat nicht bewegt – das wird sich heute ändern.Nach der langen Standzeit hat die Batterie ein wenig Mühe, den Motor zum Leben zu erwecken. Aber es klappt ohne Starthilfe und nach ein bisschen Luft auffüllen, Kette kontrollieren und Scheibe und Scheinwerfer reinigen bin ich unterwegs. Es ist einfach herrlich, ohne die dicken Winterklamotten der letzten Tage zu fahren, fast wie im Frühjahr.
Eine lange Reise soll das heute nicht geben, aber ich stelle mir so 100 gepflegte und lockere Kilometer vor. Wie fast immer, zieht es mich zunächst in den Vogelsberg und über Wohnfeld und Altenhain nach Schotten.
Und neben dem Wahnsinnswetter gerate ich bereits nach wenigen Kilometern mitten hinein in den Indian Summer - und diesmal richtig. Überall scheint quasi über Nacht die rote Farbe aus den Bäumen und Büschen hervor gebrochen zu sein. Das ist exakt der Herbst im Vogelsberg, wie ich ihn liebe. Dass er allerdings erst im November so auftritt, wundert mich schon. Aber was ist in unserer Welt überhaupt noch so, wie man es erwartet? Quasi nix ....
Da heute ein normaler Wochentag ist, gönne ich mir auch eine Fahrt durch den Laubacher Wald und wieder zurück bis Schotten. Am Falltorhaus soll heute ein Kaffeetrinken für die Saisonkennzeichenfahrer stattfinden, aber ich sehe im Vorbeifahren nur 2, 3 Maschinen und halte deshalb gar nicht erst an. Das mache ich erst später mitten auf der Strecke um zu zeigen, dass Suzuki-Gelb im Herbst fast eine Tarnfarbe ist.
Wenn ich schon mal in Schotten bin, kann ich auch eben beim Kawasakihändler Dirk reinschauen - vielleicht ist mal wieder ein Blick auf die W 800 drin. Zuerst meint Dirk, es wäre keine W mehr da, sein Vorführer sei verkauft. Aber dann fällt ihm ein, dass er das gute Stück ja zum Überwintern hier hat und natürlich kann ich mir das gute Stück ansehen.
Und da steht sie, eine W800 in wunderschönem Metallic-Grün. Aber heute kann ich erstmals ohne Neid und ohne Verlangen hinsehen, denn in kurzer Zeit werde ich selbst eine W haben: Eine W650.
Klick hier, um einen Blick auf meine zukünftige W650 zu werfen.
Nach kurzem Aufenthalt gehts weiter in Richtung Nidda. Am Stausee bekomme ich einen Mini-Indian-Summer geboten.
Auf verschlungenen Pfaden erreiche ich das Hungener Seenland und an einem der vielen Seen will ich ein kleines Päuschen einlegen. Kaum bin ich abgestiegen, lässt sich dieser kleine rotschwarze Käfer auf meinem Tankrucksack nieder. Possierlich .....
... aber innerhalb von Sekunden werden es mehr und immer mehr. Im Helm, in den Jackentaschen, in den Ärmeln, auf der gelben Suzi, die wohl für eine Dotterblume gehalten wird - alles voller Marienkäfer. Es müssen Tausende, ach, was sag ich, Hunderttausende sein. Und jetzt wundere ich mich nicht mehr, dass bereits in Schotten beim Kawahändler so ein Tierchen in meinen Helm gekrochen ist.
Die Luft surrt und brummt nur so und nicht nur auf mir und der Suzi lassen sich die Burschen nieder. So etwas habe ich in der Konzentration noch nicht erlebt. Vor ein paar Jahren im Frühjahr gabs mal etwas ähnliches mit Maikäfern, aber das hatte aufgrund der Grösse der Maikäfer eine andere Dimension. Die prallten damals wie Geschosse vor mein Visier.
Ich schaffe so gerade noch ein Foto, bevor ich kapituliere und vor den Heerscharen an Käfern flüchte. Schätze, so an die 100 Stück sitzen auf und hinter der Verkleidung meiner Suzi, immer wieder taucht einer im Helm auf - es ist lustig, aber auch nervig. Bis Tempo 120 halten die Käfer es auf der Verkleidungsscheibe aus und ich muss auf über 140, um die Brut nach und nach los zu werden.
Dieser herrliche Tag hat aber auch seine Schattenseiten - im wahrsten Sinne des Wortes. Durch die tiefstehende Herbstsonne und das Schattenspiel in den Waldstücken passiert es, dass ich plötzlich fast im Blindflug segele. Ist nicht ungefährlich, aber das kennt ja jeder, der an solchen Herbst- oder Wintertagen unterwegs ist. Muss man halt etwas vorsichtiger sein und bedenken, dass es auch manchem Entgegenkommer so geht.
Nun gehts zurück in den Vogelsberg, zuerst zum Tanken nach Ullrichstein und dann zur Volkssternwarte nach Stumpertenrod.
Jetzt habe ich die 80.000er Marke mit der Suzi geknackt - und habe dennoch grösstes Vertrauen in die Maschine. Hätte keinerlei Bedenken, nach einer kurzen Ölstandskontrolle direkt nach Österreich zu fahren und in der Steiermark den Gerhard zu besuchen. Die Suzi würde das sicher locker mitmachen. Aber so sind eben japanische Motorräder. Bereits vor 30 Jahren hab ich eine 6000 km Urlaubsfahrt durch Skandinavien gemacht - mit eine Honda CB 750 K2, die ebenfalls über 80.000 km gelaufen hatte.
Logisch: Je später es wird, umso extremer werden die Lichtspiele. Daneben komme ich immer wieder durch Waldstücke, in denen der Strassenbelag noch feucht und durch abgefallene Blätter aalglatt ist. Das ist Fahren im Herbst in all seinen Nuancen.
Kurz vor daheim halte ich noch eben beim Merlauer Schlüsseldienst, um aus dem vorhandenen Rohling endlich einen Zweitschlüssel für die Suzi machen zu lassen. Aber das scheint richtig schwierig zu sein, denn der neue Schlüssel hakelt und lässt sich kaum im Zündschloß drehen. Es dauert einige Zeit, bis wir auf das Zündschloß selber als Ursache kommen. Werde es morgen mal mit Benzin innerlich reinigen, ausblasen und mit Graphitpulver behandeln. Da dürfte nämlich mal jemand Öl hinein gesprüht haben ... wer das wohl gewesen ist? 🙁
Der Tag und die Fahrt gehen genau so schön zu Ende, wie sie begonnen haben. Immer wieder faszinierend, wie schnell 100 km mit der Suzi abgespult sind - heute waren es doppelt so viel. Und noch immer wundere ich mich, dass ich derart viel Spaß mit einem Motorrad habe, dass mir eigentlich gar nicht liegen dürfte: Zu hochdrehend, zu sportlich, zu kurzhubig, zu unklassisch. Ganz ernsthaft denke ich darüber nach, diese Suzi auch dann zu behalten, wenn die W650 in der Garage steht. Nur so als Ergänzung, nicht als Konkurrent.