Tief ins Hinterland

Eigentlich will ich heute mit den Nachbarn nach Thüringen ins Bratwurstmuseum – eigentlich. Aber weil ich erst gegen 10:30 in die Gänge komme, entscheide ich mich um: Fürs Bratwurstmuseum würden wir zu lange brauchen und wären erst spät abends zurück. Das aber passt heute nicht und so fahren die Nachbarn nach Thüringen und ich begebe mich tief ins Hinterland.Als Hinterland wird die Gegend zwischen Marburg und Biedenkopf an der Grenze von Hessen zu NRW bezeichnet. Ist eine ausgesprochen schöne Ecke – wenn man Bescheid weiss. Wenn nicht, gerät man unweigerlich auf eine der vielen schnellem und hoch frequentierten Bundesstrassen. Aber ich kenne mich ein wenig aus und ausserdem haben schnelle Bundesstrassen seit der Suzuki SV 650 völlig ihren Schrecken verloren – ja, manchmal suche ich diese Schnellstrassen regelrecht. Das unbeständige und schwül-warme Wetter macht mir heute ziemlich zu schaffen, sodass anfangs keine rechte Linie in meine Fahrerei kommt. Egal, ich fahre einfach weiter und nach und nach wird die Sache auch wieder flüssiger. Muss wohl akzeptieren, dass in meinem Alter nicht jeder Tag wie der andere ist und dass mein Biorythmus durchaus Schwankungen unterliegt.

Um 10:30 bin ich in der Motorradhalle und mache die SV startklar. Tja, jetzt stehen schon zwei Suzies dort – leider ist die DR400 noch nicht fahrbereit. Nach MZ ist Suzuki übrigens die Marke, von der ich am meisten Maschinen gefahren habe. Die Nachbarn starten auch gerade ihre beidenBoliden und machen sich auf in Richtung Thüringen.

Ich dagegen fahre über den Ebsdorfergrund und Gladenbach ins Hinterland. Die schönste Strecke dahin ist die zwischen Runzhausen und Niedereisenbach. Hier pausiere ich auf der Höhe kurz vor Bottenhorn. Klar, dass ich bei dem guten Wetter nicht der einzige Motorradfahrer hier bin.

Hier im Hinterland wird es zwischendurch mal richtig kühl und auch etwas dunkeler – ok, immerhin ist eine Regenwahrscheinlichkeit von 63 % prognostiziert. Meinen Plan, über Bad Laasphe und das Raumland jetzt nach NRW abzuschwenken gebe ich aber auf und drehe ab ins schöne Dautphetal.

Jetzt komme ich in Gegenden, die ich nicht mehr kenne – echte weisse Flecken für. Das macht aber natürlich nichts, denn die Gegend ist wunderbar und die Nebenstrecken leer. Als ich überhaupt nicht mehr weiss, wo ich mich gerade befinde, komme ich wieder auf die B62 – von dieser Bundesstrasse aus finde ich immer nach Hause, auch ohne Karte.

Einen Moment bleibe ich an diesem Plätzchen und beobachte vorbeiziehende Motorradfahrer und Biker. Die B62 ist hier extrem kurvig und stark geschwindigkeitsbeschränkt, aber so mancher Biker brettert hier durch, als gäbe es kein Morgen.

Vor Gladenbach biege ich ab in Richtung Friedensdorf und gerate erneut in völlig neue Gegenden. Dabei drifte ich stark von der Heimatroute ab und komme erst bei Lahntal wieder auf Kurs – natürlich erneut über eine schnelle Bundesstrasse, diesmal die B252.

Die B252 bringt mich in Richtung Naturpark Ederbergland und in Ernsthausen biege ich ab auf die unglaublich schöne Strecke nach Rosenthal. Bei einer kleinen Trinkpause stosse ich auf diese riesigen Pilze im Naturpark.

Von Ernsthausen bis Rosenthal sind es ca 12 km, aber die Strasse ist einmalig und das Fahren hier ist die reine Freude.

Direkt am Ortseingang von Rosenthal gerate ich in einen Schützenumzug mit vielen Teilnehmern – da steht erstmal alles, und das bei der Hitze. Nach wenigen Minuten verliere ich die Nerven und fahre über Seitenstrassen und Feldwege in Richtung Bracht. Gut, dass ich mich in Rosenthal ein wenig auskenne.

Von Rosenthal gehts über das Wohratal nach Kirchhain. Hier hat Wagner Solar ein gewaltiges Werk gebaut – diese Firma ist unglaublich gewachsen. Immerhin haben wir auf unserem Dach auch Solarfelder von Wagner, und durch das starke Wachstum hat Wagner den direkten Service leider aufgegeben. Jetzt müssen wir lokale Handwerksbetriebe mit der Wartung betrauen – schade. Das lief mit Wagner früher besser.

Mittlerweile bin ich wieder im Vogelsberg, genauer: in der Nähe von Kirtorf. Bei Lehrbach hat diese Gemeinde ein neues biologisches Klärwerk gebaut, das geradezu einen Boxenstop erzwingt. Eine schöne Anlage, vorbildlich.

Die Klärbecken wirken geradezu wie subtropische Sumpflandschaften und die Flora hier ist wunderbar. Hier riecht nichts und eine herrliche Ruhe umgibt den abgeschiedenen Ort.

Ich mache mich wieder startklar für die letzten 30 km dieses Tages. Um 16:00 bin ich nach ziemlich genau 250 km wieder zuhause, der Tank ist beinahe leer gefahren. Mein Zustand hat sich wesentlich gebessert, scheinbar habe ich das kleine Tief mit der SV gründlich vertrieben. Und von der hohen Regenwahrscheinlichkeit habe ich überhaupt nichts gemerkt.