Diese Nacht ist schwarz, rabenschwarz. Der Sturm peitscht starken Regen von den Höhen des Vogelsberges heran. Kein Stern beleuchtet den dunklen Himmel und aus den Fenstern des kleinen Ortes dringt kein Licht. Es ist drei Uhr nachts und wer immer es vermeiden kann, bleibt in dieser Nacht zu Hause.
Vom Ende der Straße her nähern sich die zwei Lichter eines Autos. Sehr langsam und mit abgeblendeten Scheinwerfern fährt ein LKW heran. Wie um ein Zeichen zu geben, wird im Hof eines abgewohnten Hauses das Licht eingeschaltet – dreimal an, dreimal aus, dann bleibt das Licht an. Der LKW stoppt, schaltet sofort seine Beleuchtung aus und ist im Dunkeln der Nacht fast nicht mehr zu sehen.
Der Fahrer steigt aus und aus dem alten Wohnhaus kommt ein Mann heraus. Die beiden begrüßen sich nur knapp und machen sich dann an dem LKW zu schaffen. Beide Männer sind nicht mehr jung, sie sind unrasiert und sehen wenig vertrauenerweckend aus. Die unter dem linken Arm ausgebeulten Jacken deuten auf Schusswaffen hin. Wer immer jetzt hier vorbei käme, würde vermutlich die Straßenseite wechseln. Aber hier kommt niemand vorbei, ganz sicher nicht.
Halt, Stop, Reality Check. Ganz so ist diese Nacht nicht verlaufen – aber ein bisschen ähnlich war’s schon. Um 23:00 bekomme ich einen Anruf von Mindaugas, dass sein LKW noch 300 km vor sich hat und gegen 3:00 ankommen wird. Tatsächlich ist der Truck um 3:05 in der Nacht vor meiner Hütte, und an Bord hat er meine Vjatka aus Litauen.
Natürlich reicht es bei dieser Aktion nicht aus, dass sie mitten in der Nacht stattfindet, nein, dazu muss es auch noch regnen.
Die Vjatka ist perfekt verzurrt und ruckzuck abgeladen. Der Trucker muss weiter in Richtung Darmstadt und ich schiebe noch eben den Roller in den Hof. Dummerweise muss ich dazu den Lenker stark einschlagen und dabei rastet das Lenkradschloß ein wie bei einem PKW. Bis ich den Schlüssel unter den Ersatzteilen und Papieren gefunden habe, vergehen etliche nasse Minuten.
Natürlich will ich die schöne Vjatka nicht im Regen stehen lassen und …..
….. und schiebe sie noch schnell in den Schuppen. Jetzt aber zurück ins warme Bett, genauere Begutachtungen werde ich im Hellen vornehmen.
Allzu lange halte ich es aber nicht aus und bereits um 9:00 schaue ich mir die Vjatka genauer an. Tadas hat noch taufrische EU-Papiere erstellen lassen, um mir die deutsche Anmeldung so leicht wie möglich zu machen. Danach ist die Vjatka 1958 gebaut, hat 148 ccm Hubraum und die gewaltige Leistung von 3,6 KW. Sogar die Farbe ist in den Papieren angegeben: Raudona, also rot.
Aber jetzt zu den Details:
Schon in der Nacht habe ich gemerkt, dass die Vjatka auf dem Ständer quasi nicht steht. Das Teil ist verbogen und locker und ich muss mit Brettchen und Eimern arbeiten, bis der Roller halbwegs sicher steht.
Beim Rundgang um die Vjatka wird klar: Ohne die Markenembleme hätte ich geglaubt, vor einer alten Vespa zu stehen. Perfekt nachempfunden.
Wunderbare Wespentaille mit schmuckem Rücklicht.
Hübscher Tachometer – so wie eigentlich alles an der Vjatka sehr nett gemacht ist.
Meine Hofecke ist einem litauischen Hinterhof durchaus ähnlich und insofern passt die Vjatka perfekt hierhin.
Markenembleme und Logos sind vorhanden und in gutem Zustand.
Abenteuerliche Verlegung der Züge? Keineswegs, das ist original und muss genau so.
Mit ein wenig amerikanischer Lack-Politur sieht die Vjatka schon richtig gut aus, und ich überlege, ob ich nicht mal eine ganz sanfte Restauration versuche, bei der die russische Patina erhalten bleibt.
Hinter einer Klappe verbirgt sich ein Fach für die Batterie und das Werkzeug.
Durch Druck auf das hintere Ende der Sitzbank öffnet sich diese – wie beim Capri-Roller.
Was für ein herrlicher Tankverschluß! Deshalb liebe ich die russische Technik.
Nach ganz kurzer Behandlung mit Lederfett sieht die Sitzbank richtig proper aus.
Der Motor der Vjatka. Der Kolben ist leider im Zylinder fest, vermutlich an den Ringen festgerostet. Ein fast neuwertiger Zylinder liegt aber bei und Tadas will noch einen neuen Kolben beschaffen.
Mittlerweile ist mir auch klar geworden, warum die Seitenbacken und das Schutzblech diese Lackschäden haben: Durch den jämmerlichen Ständer wird eine Vjatka nicht aufgebockt, sondern einfach irgendwo gegen gelehnt. OK, dann mach ich das jetzt auch so.
Das war jetzt nach der IZH Planeta mein zweiter direkter Deal mit Litauen. In beiden Fällen hat das einwandfrei geklappt und mithilfe von Tadas würde ich das jederzeit wieder machen. Tadas ist eindeutig ein Ehrenmann, dem ich absolut vertraue. Wer also Fahrzeuge aus der ehemaligen Sowjetunion oder Teile davon aus Litauen holen möchte, dem empfehle ich Tadas als Mittelsmann. IZH, Minsk, Tula, Vjatka, Ural oder Dnepr: Das alles gibt es in Litauen noch zu vernünftigen Preisen.