Mit zwei russischen Fahrzeugen zu zwei Grossereignissen

Nach zwei Monaten Planeta-Pause wird es mal wieder Zeit, meine schöne Russin zu bewegen. Umso mehr, also Nachbar Egon mit seiner Tula Muravej zu einer geruhsamen Sonntagsfahrt geladen hat. Ursprünglich wollen wir mit vier Fahrzeugen starten, aber um 10:30 sind nur die Tula und meine Planeta am Start. Macht nix, wir gehen dann eben auf grosse Fahrt mit zwei russischen Fahrzeugen zu zwei Grossereignissen.

Ursprünglich soll die heutige Fahrt über den südlichen Vogelsberg zum Oldtimer Cafe auf die Herrchenhainer Höhe gehen. Das Ziel Oldtimer Cafe bleibt auch bestehen, aber wir werden jetzt über Deckenbach zu einer dörflichen Oldtimer-Veranstaltung fahren. Damit haben wir zwei wunderbare Grossereignisse vor uns und Egon bekommt jede Menge ordentliche Steigungen, um die Gebirgsfähigkeit der Tula zu testen.

Unter grosser öffentlicher Beteiligung starten wir um 11:30 unseren beiden Russenfahrzeuge. Es folgen lange Abschiedszeremonien, denn wer weiss, ob wir unsere Lieben jemals wiedersehen. Aber wir glauben an die überlegene russische Technik und sind guten Mutes, unsere Ziele zu erreichen.

Angekommen in Deckenbach wollen uns die Streckenposten direkt auf die Wiese schicken, wo wir unsere russischen Exoten ausstellen können. Aber das wollen wir heute nicht - heute ist nicht die Zeit des Posens, sondern die Zeit des Fahrens. Jetzt schauen wir uns erstmal bei den Oldtimerfreunden Deckenbach um.

Auch ein paar Markstände sind aufgebaut und bei einem entdecken wir Blechschilder mit historischen Motorradmotiven. Die Preise sind äusserst günstig und so kaufe ich drei Schilder und Egon schnappt sich zwei Schilder ......

..... und zwar mit Motiven des alten deutschen Goggo-Rollers. Warum, dürfte jedem Kenner klar sein: Diesen Goggo-Roller hat die russische Firma Tula (TMZ) damals kopiert, nachgebaut und weiterentwickelt. Auch die Muravej basiert auf dieser Goggo-Technik.

Diese edle Dorfkatze streicht über die sehr schön aufgezogene Veranstaltung der Oldtimerfreunde Deckenbach.

In und um Willi's Scheune spielt sich das Geschehen ab. Als erstes gönne ich mir ein prima Grillsteak.

Und natürlich muss der Flüssigkeitshaushalt ausgeglichen werden, denn die mörderische Anfahrt nach Deckenbach hat Mensch und Maschine auf äusserste gefordert.

Neben der Bar in Willi's Scheune glänzt dieser unglaublich schön restaurierte Holder-Schlepper - ein echtes Kleinod.

Natürlich treffen wir auch auf Bekannte: Arbeitskollegen, Schützenkollegen und sogar einen Teilnehmer des gestrigen MZ-Treffens in Mandeln.

Dieses "Dienstfahrzeug" der Oldtimerfreunde Deckenbach gibt Egon schöne Anregungen, wie er seine Tula zu einem Campingfahrzeug umbauen kann.

Schwerpunkt der Deckenbacher Ausstellung sind zwar landwirtschaftliche Fahrzeuge und Maschinen, aber es gibt auch einige schöne Zweiräder. So eine Zündapp Combinette war doch tatsächlich mein allererstes eigenes Fahrzeug. Bekam ich von meinem Opa und hab darauf das Fahren gelernt.

Und auch so eine niedliche Adler M100 nannte ich eine zeitlang mein eigen. Natürlich darf auch ein Schwälbchen nicht fehlen.

Dieser Feuerwehranhänger wurde zu einem Mini-Wohnwagen im Ikea-Stil umfunktioniert.

Unter den schicken PKW fällt besonders der NSU-Prinz aus dem Marburger Polizeimuseum auf. Egon, der ja bei NSU eine Lehre gemacht hat, weiss einiges über den Prinz zu erzählen.

Die Hanomag-Schlepper im Autolook haben mich schon immer fasziniert.

Auf dem Lanz-Bulldog wird demonstriert, wie damals mit der unbändigen Maschinenkraft Holz gesägt wurde.

Es hat uns in Deckenbach sehr gut gefallen - eine prima Veranstaltung. Dennoch müssen wir jetzt weiter - ansonsten würden wir in Willi's Scheune versacken und müssten uns Stunden später von Ruth abholen lassen. Besser nicht. Bei unseren russischen Nutzfahrzeugen hat sich mittlerweile ein Klassenfeind eingeschlichen, vermutlich, um die überlegene Technik nach Japan zu holen. Wir aber ziehen jetzt weiter in Richtung Hoher Vogelsberg.

Auf den nächsten Kilometern erkenne ich, wie schwer es ist, das Tempo der Tula zu halten: Extrem anstrengend, so langsam zu fahren. In der Ebene und an leichten Steigungen fährt die Ameise konstant 60 km/h, um aber an härteren Steigungen massiv abzufallen. Aber jeder Berg wird allein und ohne fremde Hilfe genommen. An diesem Ort ziehe ich mal für ein paar km davon, damit die Planeta nicht völlig versuckelt. Und dann warte ich, bis die Tula auftaucht und drehe ein Filmchen der rasanten Fahrt.

Auf der Höhenstrasse Richtung Hoherodskopf halten wir an und zu meinem Erstaunen beginnt Egon, die neu entdeckte Langsamkeit zu geniessen. Normalerweise brettert der Bursche mit 90 PS durch den Vogelsberg, aber mit der Tula entdeckt er jetzt völlig neue Dinge, so wie diesen herrlichen Ausblick in den westlichen Vogelsberg.

Nun gehts an den Aufstieg in Richtung Hoherodskopf, als die Tula urplötzlich und schlagartig stehenbleibt. Gerade wollten wir ein Beweisfoto mit einem Schild machen, dass die 700 Höhenmeter dokumentiert, als die Tula streikt. Also ist erstmal Fehlersuche angesagt.

Ich erwarte jetzt, dass Egon das umfangreiche Werkzeug auspackt und loslegt - aber der Kerl hat tatsächlich nichts, aber auch garnichts an Werkzeug dabei. Unglaublich, das geht doch mit einem Russen überhaupt nicht.

OK, der Fehler ist schnell entdeckt: Das Kabel vom Kondensator ist abvibriert. Habe natürlich Werkzeug dabei und so ist der kleine Schaden schnell behoben.

Wie ihr seht, findet die sehr russische Panne bei Kilometer 420 statt - das ist ein sehr guter Wert. Und bedenkt: Wir befinden uns bei 700 Höhenmetern und haben gerade eine 12%ige Steigung genommen. Seht hier den Beweis.

 

Jetzt kämpfen wir uns bis auf die Herrchenhainer Höhe zum Oldtimer Cafe. An der gewaltigen Steigung bei Sichenhausen muss die Tula zwar in den ersten Gang, kommt aber letztlich ohne Probleme hoch. Am Oldtimer Cafe ist die Tula sofort von spontanen Fans umringt, darunter auch Matze, der Wirt.

Matze seziert die Tula und weisst anhand von Dreck, Rost und Kratzern glaubhaft nach, dass die Ameise vielleicht doch etwas mehr als die beim Kauf gezeigten 64 km gelaufen haben könnte. Übrigens: Niemand der Interessierten hat je von Tula gehört und niemand erkennt das Maschinchen. Dabei steht doch auf diesem Schild klar und deutlich der Name: Muravej, was wörtlich Ameise bedeutet, in Fachkreisen aber mit Arschlochameise übersetzt wird.

Das Schildchen auf der Tula

Egon ruft zuhause an und meldet die (fast) pannenfreie Ankunft am Oldtimer Cafe. Ruth scheint ein wenig überrascht, dass dies kein Hilferuf ist und dass der Schandwagen keinesfalls benötigt wird. Jetzt verputzen wir eine Portion Spargel im Schinken-Pfannkuchen. Dabei wird es plötzlich stürmich und der Himmel bewölkt sich gewaltig. Gut, Unwetter waren angekündigt, und so brechen wir nach dem Essen recht zügig auf und hoffen, nicht während der gesamten Rückfahrt nass zu werden.

Bereits nach wenigen Kilometern haben wir die Schlechtwetterfront hinter uns gelassen und wir bleiben tatsächlich komplett trocken. Jetzt tritt noch ein kleines Problem an der Planeta auf: Der Werkzeugdeckel öffnet sich, weil das Schloss sich kaputtvibriert hat. Das ist aber mit einem Gepäckstraps von der Tula in Sekundenschnelle erledigt.

Weiter gehts bei bestem und extrem heissen Wetter. Wir beschliessen, über Schotten und die als Motorradrennstrecke berüchtigte B 276 in Richtung Laubach zu fahren. Auf der Bundesstrasse werden wir dabei die Raser mit dem Tula-Tempo komplett ausbremsen. Fies, oder?

Am Falltorhaus halten wir kurz, um die Knieschleifer-Fraktion schon mal vorzuwarnen.

In dieser Poserkurve brettern die Knieschleifer häufig mit unglaublichem Tempo, aber heute ist alles ruhig. Liegt wahrscheinlich an dem Polizeiwagen, der hinter der Kurve lauert und dessen Besatzung uns mit hochgerecktem Daumen begrüsst. Schliesslich fahren wir mit braven 60 km/h hier durch, obwohl 80 erlaubt sind - aber das schafft die Tula nicht - noch nicht.

Dieses Bild hatte ich fast den ganzen Tag vor mir. Die herrlich eiernden Hardyscheiben der Tula-Achse haben eine beinahe hypnotische Wirkung auf den Hinterherfahrenden. Ach ja: Zeitweise war das einzige Instrument meiner Planeta, dass ein wenig Bewegung zeigte, die Uhr - keinesfalls jedoch der Tachometer.

Nach 120 km schliesst sich auf dem heimischen Hof der Kreis dieses ereignisreichen Tages mit unseren beiden Produkten der überlegenen russischen Technik. Der Spassfaktor war jedenfalls enorm. Jetzt freuen wir uns auf das alte Russentreffen in 14 Tagen.